Alleine inmitten der idyllischen, grünen Flusslandschaft des Rio Serrano
Wir lassen uns treiben – mit 15 km/h geht es flussabwärts
Paddeln durch Eisschollen auf der Lagune des Serrano Gletschers
Rückweg mit Hindernissen – schweres Gepäck und unwegsames Gelände zollen ihren Tribut
Wir sind noch immer im Nationalpark Torres del Paine. Schon einige Abenteuer haben wir in dieser wunderschönen Landschaft erlebt – ein großes steht noch bevor. Von einigen Personen haben wir vom Rio Serrano gehört, einem Gletscherfluss, der sich durch ein verwundendes Tal schlängelt, bis er schließlich 50 km vor Puerto Natales in den Fjord mündet. Am besten lässt sich die Landschaft natürlich vom Wasser aus erkunden. Und so planen wir eine Tour mit dem eigenen Kajak. Bisher waren wir nur auf Seen, Fjorden oder eher ruhigen Buchten im Meer unterwegs. Aber warum nicht mal was Neues? Wir studieren die Topographie auf der Karte und sehen uns die Landschaft vor Ort an. Der Fluss hat eine ordentliche Fließgeschwindigkeit. Flussabwärts sollte es einfach sein, gegen die Strömung – keine Chance. Unser Weg zurück führt zu Fuß. Ein Trail führt von unserem Ziel, dem Serrano Gletscher, zurück; in etwa 27 km. Kein einfaches Unterfangen mit dem Kajak im Gepäck. Das ist uns klar.
Wir sind schon ein paar Tage im idyllischen Villa Rio Serrano, wo wir unser Kajak launchen wollen. Wir brauchen definitiv einen möglichst windstillen Tag für die Expedition. Ansonsten wird es ein Desaster mit unserem aufblasbaren Wanderkajak. Der Wind ist teilweise so heftig, dass man die Fließrichtung des Flusses gar nicht mehr erkennt. Da sind wir Spielzeug auf der Wasseroberfläche. Dienstags sieht es gut aus, kaum Wind und Böen mit nicht mehr als 25 Knoten sind angesagt. Das ist das Beste, was in den kommenden Tagen in Sicht ist. Leider sind die Winde in Patagonien vor allem zu dieser Jahreszeit an der Tagesordnung. Schon am Mittwoch sollen sich die Windgeschwindigkeiten verdoppeln… Und so pumpen wir um 6 Uhr morgens unser Kajak auf. Die erste Herausforderung: die Beladung. Wir brauchen Zelt, Schlafsäcke, kurzum alles für die Übernachtung, sowie Rucksäcke, um alles inklusive Kajak zurück zu transportieren. Die Fotoausrüstung hat Micha übrigens auf’s Nötigste beschränkt, nicht nur aus Gewichtsgründen. Vom Wasser aus haben wir nur Handy- und GoPro-Aufnahmen gemacht. Proviant packen wir für 3 Tage. Ein Tag für die Flussfahrt, einer für den Rückweg. Und zur Sicherheit noch einen weiteren Tag, falls etwas schiefgeht. So etwas ist für uns auch Neuland. Zudem ist der Weg unbekannt. Der Trail existiert auf der Karte, mehr wissen wir nicht.
Damit ihr Euch mehr darunter vorstellen könnt, hier unsere Strecke:
Endlich sind wir startklar. Wir sind beide etwas nervös. Einmal im Fluss können wir nicht mehr zurück, zu stark ist die Strömung. Zudem kann man nicht überall anlanden und müsste sich dann zu Fuß durch die Wildnis schlagen. Los geht’s! Nach etwa einer halben Stunde erwartet uns schon das erste Hindernis – ein Wasserfall. Wir wissen, dass wir diesen umgehen müssen. Ein Steg hilft uns beim Anlanden; dann heißt es, Rucksäcke auf den Rücken, Kajak in die Hand. Etwa 400 Meter sind es. Nicht weit, dennoch mit dem Gepäck durch dichtes Gebüsch, schweißtreibend. Wir sind jetzt schon fix und fertig. Nachdem wir erneut alles beladen haben, geht’s zurück aufs Wasser. Momentan ist kaum Wind, schön langsam können wir die Fahrt genießen. Bis die nächste Windböe kommt… Immer genau entgegen unserer Fahrtrichtung. Ihr könnt Euch das so vorstellen, dass uns 40 cm hohe Wellen entgegenkommen. Es lässt sich nicht vermeiden, dass einiges an Wasser ins Kajak schwappt. Nun ja, das meiste haben wir wasserdicht verpackt – inklusive uns selbst. Und immerhin sind es nur Böen. Meist sieht die Welt nach etwa 15 Minuten ganz anders aus. Vor uns sehen wir die Ausläufer des Tyndall Gletschers. Dieser ist allerdings sehr schwer zu erreichen. Wir sind noch mehr als 10 km Luftlinie davon entfernt, das Gelände ein Mix aus kleinen Flüssen und unwegsamer Taiga. Von einer Expedition dorthin sehen wir ab.
Der Rio Serrano macht jetzt eine 90° Kurve Richtung Süden. Hier scheint der Flusslauf windgeschützter. Endlich können wir voll von der Strömung profitieren. Ein herrliches Gefühl. Nach einer kleinen Mittagspause an Land geht es weiter. Immer wieder sind Stromschnellen, Bäume und Äste im Wasser, die wir umfahren. Auf einmal taucht vor uns ein Baumstamm auf. Moment - er taucht wieder ab. Und plötzlich kommt ein riesiger Seelöwe auf uns zu geschwommen. Wir sind so perplex, dass wir vergessen, die GoPro zu starten. Das Kerlchen hat wohl einen kleinen Ausflug vom Fjord stromaufwärts gemacht und freut sich, uns zu sehen. Er begrüßt uns mit einem kräftigen Bauchplatscher. Egal, eh schon alles nass… :-)
Jetzt geht's wirklich rasend schnell, mit etwa 15 km/h. Unser persönlicher Paddelrekord. Schon gegen 15 Uhr erreichen wir unser Tagesziel, den Serrano Gletscher. Ein kleiner Kieselstrand lädt zum Anlanden ein. Wir verschnaufen erstmal. Auch wenn es körperlich nicht allzu anstrengend war, sind wir beide doch etwas erschöpft. Zu groß war die Anspannung in uns unbekanntem Terrain – äh Gewässer. Jetzt kommt der Genussteil. Wir tragen unser Kajak rüber zur Gletscherlagune. An dem Ort, Puerto Toro, gibt es übrigens einiges an Infrastruktur. In der Hauptsaison fährt täglich ein Ausflugsboot von Puerto Natales zum Serrano Gletscher, der idyllisch unterhalb des Monte Balmaceda liegt. Wir wissen, dass es allerdings schon um 11 Uhr morgens wieder ablegt. Kein Mensch hier zu der Tageszeit. Auch eine Rangerstation ist vorhanden, allerdings unbemannt, wie es scheint. Wir paddeln gemütlich auf der Lagune, genießen die Ruhe. Hier können wir etwas entspannen. Natürlich halten wir von den Eisschollen, die um uns treiben, sowie der Gletscherfront Sicherheitsabstand. Der Anblick des tonnenschweren Eises ist wunderschön. Zum ersten Mal packt Micha seine Kamera aus. Die Drohne haben wir allerdings zu Hause gelassen. Zu viel schlechte Erfahrung haben wir in Kombination mit Kajak:-)
Nach etwa 2 Stunden tragen wir unser Kajak zurück. Unser restliches Gepäck liegt noch am Strand. Wir wollen in der Nähe des Trailheads übernachten. Der liegt allerdings auf der anderen Uferseite, und leider auch flussaufwärts. Der kleine, aber fatale Planungsfehler könnte uns zum Verhängnis werden. Nie im Leben können wir gegen die Strömung anpaddeln. Wir haben zwei Möglichkeiten: Entweder wir nehmen das Touristenboot am nächsten Morgen nach Puerto Natales und fahren einen weiteren Tag später mit dem Bus zurück zu unserem Auto. Oder wir laufen am Ufer entlang flussaufwärts etwa 2 km zurück und queren den Fluss mit der Strömung, um den Trailhead zu erreichen. Wir wissen, dass das Boot 125 $ pro Person kostet aber eine Whisky Verkostung beinhaltet. Kurz überlegen wir, dann gewinnt aber der Kampfgeist und das Ehrgefühl. Puh, das ist hart. Eigentlich hatten wir für heute im Kopf mit der Kraftanstrengung schon abgeschlossen. Hilft aber nichts…
Zwei Stunden später landen wir auf der gegenüberliegenden Uferseite an und bauen direkt an einer Lichtung unser Zelt auf. Ein wunderschöner Ort. Bis auf die vielen Moskitos… Nach dem Abendessen fallen wir sofort ins Bett – erschöpft und glücklich.
Am nächsten Morgen lassen wir es gemütlich angehen. Und die Logistik braucht auch ihre Zeit. Wir müssen unser Kajak in Michas Wanderrucksack packen bzw. quetschen; plus Luftpumpe und Zelt. Der Rest kommt in meinen. Das wird unser bisher schwerstes Gepäck. Geschätzt liegen wir bei knapp 30 kg bzw. etwas über 20 kg. Zu allem Übel haben wir auch noch unsere Wanderstöcke vergessen. Wir sind es gewohnt, damit zu laufen. Vor allem für’s Gleichgewicht, und um unsere Gelenke zu schonen. Naja, dann müssen eben die Paddel herhalten. Als Langzeitreisender entwickelt man einen Sinn für vielseitige Einsatzzwecke :-)
Wir haben 27 km vor uns. Schon nach wenigen Minuten wird uns klar, dass es kein einfacher Weg wird. Das Gelände führt durch dichtes Gestrüpp und ist völlig überflutet. Viele Leute scheinen hier nicht zu laufen. Wahrscheinlich der ein oder andere Gaucho, wie Hufspuren vermuten lassen. Wir finden ein Hufeisen - vielleicht bringt es Glück!? Schon nach kurzer Zeit, knurrt der Magen. Micha beginnt, Beeren zu pflücken. Ob es die Kalorien wert sind? Immerhin wissen wir seit unserem >>> Aufenthalt auf der Estancia Mercedes, was essbar ist und was nicht. Jeder Schritt ist eine Anstrengung, und mit dem Gepäck ist alles doppelt so schwer. Wir kommen kaum voran, mit etwa 2 km/h. Selbst bei den langen patagonischen Sommertagen wird es schwierig bis unmöglich, bei Tageslicht anzukommen. Zu guter Letzt fängt es zu schütten an. Wir haben einen großen See erreicht. Der Trail führt am Ufer entlang, bis schließlich ein Fluss, der hineinmündet, unseren Weg versperrt. Wir sind unschlüssig, ob es auf der anderen Seite weitergeht. Die GPS App ist nicht eindeutig, der Fluss nicht verzeichnet. Wir suchen nach Alternativen – erfolglos.
Schließlich sehe ich am Ufer vor einer kleinen Hütte eine Person. Als wir dorthin laufen, erwarten uns zwei Jungs aus Chile. Sie verbringen ein paar freie Tage hier am See. Es handelt sich um eine Anglerhütte, die für die öffentliche Nutzung freigegeben ist. Was für ein pures Glück. Wir entscheiden uns, dort zu übernachten. Es ist bereits nach 16 Uhr und wir haben noch 18 km vor uns. Falls das Gelände so bleibt, keine Chance, anzukommen. Die Hütte ist sehr einfach und hat dennoch alles, was man braucht. Sogar einen kleinen Ofen, den die Jungs schon angefeuert haben. Sie sind am selben Tag von Villa Rio Serrano losgelaufen, wo unser Auto steht. Wir fragen nach dem Weg. Und ja, wir müssen den Fluss queren. Aber morgen ist ein neuer Tag. Nachdem wir uns umgezogen haben, ruhen wir uns ein wenig aus. Nach unserem Powernap ist der schönste Sommertag. Es hat aufgehört zu regnen und wir sehen erst jetzt, an welch wunderschönem Ort wir uns befinden. Von der Hütte aus hat man direkten Blick auf die Cuernos und die Torres del Paine. Vor uns liegt der große Lago Brush, angeblich kann man hier bis zu 12 kg schwere Lachse angeln. Wir begnügen uns mit einer Suppe und Pasta, die wir noch haben. Immerhin haben wir Proviant für drei Tage dabei, wenn auch sehr knapp kalkuliert (Micha hat gepackt!). Für den kommenden Tag bleiben uns ein paar Haferflocken. Micha’s Laune sinkt immer weiter. Er kündigt an, alles an Vorräten zu essen, wenn er daheim (aka beim Camper) ist. Schließlich entdecke ich in der „left over“ Kiste der Hütte eine Packung Spaghetti. Unsere Rettung! Nachspeise, Frühstück und Wegproviant in einem. Und mit etwas Salz und Olivenöl ein Festmahl. Kein Scherz :-)
Am nächsten Morgen brechen wir früher auf. Wir können es uns nicht leisten, noch einen weiteren Tag unterwegs zu sein. Und die Jungs versprechen uns, dass der Weg nicht einfach ist… war klar. Um 9 Uhr sind wir startklar. Als erstes erwartet uns die Flussquerung. Gottseidank bei Sonnenschein. Ohne Rucksack teste ich die Wassertiefe. Das Wasser reicht nur bis zur Hälfte der Oberschenkel – easy.
Nach dem morgendlichen patagonischen Kneippbad geht es weiter. Der Weg führt weitestgehend durch Wald und Buschland. Allerdings ist er deutlich einfacher als der gestrige Teil – vermutlich weil er mehr begangen ist. Wir sind erleichtert. Nach unserer Mittagspause um 14 Uhr haben wir noch etwa 5 km übrig. Lets call it „Endspurt“ :-) Wie es nun mal so ist, zieht es sich. Zurück am Flussufer wird der Weg unwegsamer. Unzählige Male müssen wir riesige Umwege um Überschwemmungsflächen laufen. Schließlich mündet sogar ein nicht verzeichneter Fluss in den Rio Serrano. Wir laufen einige Kilometer an dessen Ufer entlang, bis wir ihn überqueren können. Das hat gerade noch gefehlt.
Endlich ist unser Auto am Flussufer in Sicht. Wir reißen unsere Rücksäcke von Rücken und werfen uns erschöpft ins Gras. Was für ein Trip! Dass der Rückweg so hart ist, hätten wir nicht gedacht. Dennoch sind wir überglücklich, dass wir es gewagt haben. Mit diesem Erlebnis verabschieden wir uns am nächsten Tag endgültig vom Torres del Paine Nationalpark und damit auch vorübergehend von Chile. Schon mehr als zwei Monate waren wir nun in dieser Gegend. Zeit für uns, weiter Richtung Norden zu reisen.
Hier noch ein paar wichtige Hinweise zu der Tour:
Der Rio Serrano gehört zum Nationalpark Torres del Paine. Aus dem Grund müsst ihr natürlich Eintritt zahlen.
Für die Navigation auf dem Rio Serrano mit einem Boot / Kajak benötigt man eine Genehmigung der Parkverwaltung CONAF.
Der Serrano Gletscher liegt im Nationalpark O’Higgins, auch hier ist Eintritt sowie ein Permit für‘s Kajakfahren erforderlich.
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