Unterwegs zum kältesten, trockensten und windigsten Ort der Erde...
...aber auch zu einem der schönsten Orte unserer Welt, der einfach mit Nichts zu vergleichen ist
Nur 3,5 m hohe Wellen – die Drake Passage ist gnädig mit uns
Der Sprung ins kalte Wasser: Polar Plunge bei -1,6 C°
Es ist soweit. Wir sind in Ushuaia angekommen, 2 Tage vor unserer geplanten Abfahrt in die Antarktis. Unser Schiff, die Ocean Nova, läuft am Freitagnachmittag aus, Boarding ist um 15 Uhr. Genug Zeit, um letzte Dinge zu organisieren und ein bisschen zu relaxen. Wir holen unsere Ausrüstung bei Freestyle Travel, der Agency, mit der wir gebucht haben, ab. Dicke, wasserfeste Jacken und Hosen, sowie Handschuhe liegen für uns bereit. Wir sind gewappnet für den kältesten, trockensten und windigsten Platz der Erde!
Donnerstagabend auf dem Campingplatz in einem Seitental vor Ushuaia. Um ca. 22 Uhr, als wir gerade ins Bett gehen, rollen nach und nach Autos ein. Junge Leute in seltsamen Kostümen versammeln sich im Gemeinschaftsraum neben uns. Es sieht nach einer Halloween Party aus, am 10. November. Vielleicht ist Argentinien ja ein bisschen später dran? Der Campingplatz füllt sich immer mehr, Musik wird aufgedreht. Wir können trotz Ohrenstöpseln kein Auge zutun. Gegen 2 Uhr nachts ist Micha mit seiner Geduld am Ende (Anm. d. Red.: Da hat er ganz schön lange durchgehalten!). Wir suchen uns einen anderen Platz zum schlafen. Und ooooops, mitten beim Abbauen des Campers, bricht unser Bett zusammen. Oh no. Das hat gerade noch gefehlt. Ihr könnt Euch das so vorstellen, dass das Fußende des Betts tagsüber Sitzfläche ist. Nachts wird eine Holzplatte quergelegt, um auf 2m Länge zu kommen. Die restliche Nacht ist zwar ruhig, aber sehr unbequem, zusammengequetscht auf 1,60m. Keine dauerhafte Lösung. Uns bleibt nichts anderes übrig, als ein neues Brett zu organisieren. In einer fremden Stadt, auf Spanisch, in knapp 2 Stunden, die wir zwischen Packen, Parken und Boarding noch haben. Die Mitarbeiter von Freestyle Travel empfehlen uns ein lokales Küchenstudio. Und siehe da, nach wenigen Minuten bekommen wir ein auf Maß zugeschnittenes, stabiles Brett! Wieder einmal sind wir so froh über die Hilfsbereitschaft. Wir hätten nicht damit gerechnet, dass es so schnell geht. Jetzt können wir entspannt an Bord der Ocean Nova gehen.
Nach einer kurzen Begrüßung durch das Expeditionsteam von Antarctica21 und einem Sicherheitstraining geht die Fahrt los. Zunächst ganz gemütlich im Beagle Kanal, geschützt von Feuerland im Norden und einigen chilenischen Inseln im Süden. Wir genießen die Ausblicke auf die Landschaft. Schon nach ca. 5 Stunden sind wir auf offener See. Die Drake Passage wartet auf uns. Die berühmt berüchtigte Seestraße zwischen dem südamerikanischen und dem antarktischen Kontinent ist seit jeher von Seefahrern gefürchtet. Unzählige Dramen spielten und spielen sich nach wie vor hier ab. Der antarktische zirkumpolare Strom presst sich hier auf einer Breite von ca. 600 Seemeilen durch die Enge. Das klingt erstmal nicht wild, ist es allerdings. An allen anderen Stellen dieses Ringozeans befindet sich kein Kontinent so nah wie Südamerika. Dementsprechend rau ist die See. Dazu kommen noch Winde mit teilweise über 110 km/h. Aber da müssen wir durch. Wir haben uns vorsorglich mit Medizin gegen Seekrankheit ausgerüstet. Auch wenn wir beide glücklicherweise nicht empfindlich sind, riskieren wir nichts und nehmen die Tabletten präventiv. Und siehe da, die See ist gnädig mit uns. Mit nur knapp 3,5 m hohen Wellen, ist es laut Expeditionsteam eine der ruhigsten Überfahrten seit vielen Jahren! So ruhig, dass wir sogar Buckelwale sichten. Und wir sehen unglaublich viele Seevögel. Schwarzbrauenalbatrosse mit einer Spannweite von bis zu 2,40 m begleiten unser Schiff häufig. Je weiter südlich wir fahren, desto mehr Vogelarten sehen wir.
Nach 2,5 Tagen auf See erwartet uns am Montagmorgen unser erster Landgang: Mikkelsen Harbour auf Trinity Island. Eine Insel im Palmer Archipel, vorgelagert der antarktischen Halbinsel. Wir sind richtig heiß darauf, endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Zum ersten Mal sehen wir, wie so ein Landgang funktioniert. Direkt vom Schiff können wir natürlich nicht an Land gehen. Dafür haben wir 10 Zodiacs, mit denen bis zu 10 Personen transportiert werden können. Das Boarding funktioniert relativ zügig. Boot für Boot verlässt das Schiff und wir werden auf die Insel gebracht. Dort haben wir genug Zeit, um uns umzuschauen und Fotos zu machen. Besonders interessant ist die Kolonie von Eselspinguinen. Die Markenzeichen der rund 5,5 kg leichten Pinguine sind der knallorange Schnabel und die weißen Flecken über den Augen. Wir dürfen uns bis zu 5m nähern, es sei denn, der Pinguin entscheidet, näher zu kommen. Überall watscheln die tollpatschigen Tiere herum. Typisch sind die sogenannten Pinguin Highways - Pfade, denen alle Pinguine folgen. Aufgrund des vielen Schnees an Land, machen sie es sich so einfach wie möglich und laufen in den existierenden Spuren anderer Pinguine. Im November sind nach den Männchen auch die Weibchen bereits an ihren Brutstätten eingetroffen und mit dem Nestbau beschäftigt. Ein lautes Spektakel. Überall hört man das Schnattern (Anm. d. Red.: Seinen deutschen Namen hat der Eselspinguin nämlich durch die einzigartigen Laute erhalten, die an Eselsgeschrei erinnern.). Sonst weit und breit nichts. Schon bald überkommt mich das Gefühl von Glück und auch tiefer Demut, in dieser echten Wildnis. Am Ufer sieht man häufig, wie die Pinguine ins Wasser springen, um dort zu jagen, oder scheinbar ungeschickt wieder an Land gehen. Ich könnte ewig zuschauen. Einige Weddellrobben tummeln sich auch an Land. Sie sind weit weniger aktiv als die Pinguine, liegen meist nur schläfrig im Schnee. Aber immer mit einem Lächeln im Gesicht!
Am Nachmittag erreichen wir Cierva Cove in der Hughes Bay. Hier erwartet uns Eis, Eis und nochmals Eis. Mit den Zodiacs machen wir eine Fahrt inmitten der Eisberglandschaft. Zibo, unser Fahrer, manövriert uns geschickt durch das Packeis, das überall herumtreibt. Das Eis, das Landeis der Antarktis, ist wohl das klarste und beste Wasser auf der Welt. Über 10.000e Jahre hinweg, als es noch nicht so viel Luftverschmutzung gab, ist der Schnee komprimiert worden und kalbt nun vom Gletscher. Eine absolut beeindruckende Landschaft! Hier liegt auch Primavera, eine argentinische Sommerforschungsstation. Durch seine einmalige Lage auf einem großen Granitmassiv profitiert der Ort von einem Mikroklima, das Fauna und Flora begünstigt. So nisten hier unzählige Pinguine an der Küste, und auf den Eisschollen sehen wir den einen oder anderen Seeleoparden.
Am kommenden Tag fahren wir in die Wilhelmina Bay, eine große Bucht mit ca. 28km Durchmesser zwischen Cape Anna und der Reclus Halbinsel. Durch ihre geographische Lage ist sie einigermaßen windgeschützt. Vom Nordwesten her kommt nämlich ein Tief, das für raue See sorgt. Ursprünglich war eine Wanderung über das Meereis geplant. Allerdings haben die vorangegangenen Stürme es zu stark geborsten, so dass wir auf eine Zodiac Fahrt umschwenken. Hadleigh, unser Expeditionsleiter, plant immer mit den aktuellen Informationen und selbst die erfordern oft noch eine spontane Umplanung unter den Bedingungen vor Ort. Das Wetter ändert sich innerhalb von Minuten und sehr dramatisch. Da wir eine der ersten Expeditionen dieses Jahr sind, ist gerade zu Saisonbeginn, auch für das erfahrene Expeditionsteam noch vieles Unbekannt. Gegebenheiten, wie die Menge und Verteilung von Meereis, variieren von Saison zu Saison und Tag zu Tag. Darum ist auch keine Expedition wie die andere. Immer aber ist das Expeditionsteam bemüht, alles herauszuholen, was möglich ist. Diesmal sind wir mit Wendy, passionierte Vogelexpertin aus Neuseeland, unterwegs. Josh, aus Squamish, Kanada, steuert unser Boot. Wir haben die Gelegenheit, mit der App GLOBE Observer aktuelle Daten für die NASA vor Ort zu sammeln. Dazu tragen wir Wetterbeobachtungen ein und laden Fotos in alle Himmelsrichtungen sowie den Himmel in die Datenbank hoch. Diese Information hilft dann der NASA, die künstliche Intelligenz zur Interpretation ihrer Satellitenbilder zu verbessern. Das Wetter, das wir berichten, lässt zu wünschen übrig. Geschlossene Wolkendecke bei mäßigem Schneefall. Nach zwei Stunden im Zodiac sind wir trotz guter Outdoor Kleidung etwas durchfroren.
Keine guten Voraussetzungen für unser nächstes Abenteuer – den Polar Plunge. Kein Muss, aber eine einmalige Gelegenheit. Bei fast jeder Antarktis Expedition wird ein Sprung ins eiskalte antarktische Wasser angeboten. Ab der sogenannten antarktischen Konvergenz, der biologischen Grenze zur Antarktis, mitten im Meer, sinkt die Wassertemperatur schlagartig von um die 11° C auf maximal 2° C. Das liegt vor allem an der Menge an Meereis und Gletschern auf der südlichen Seite. Je nachdem variiert die Temperatur nach unten, bis bei -1,8 C° das Salzwasser gefriert. Momentan liegt die Wassertemperatur bei -1,6° in der Wilhelmina Bay. Ich habe lange überlegt, ob ich es mache. Erstaunlich viele, vorwiegend die jüngeren Passagiere, haben sich den Sprung ins eiskalte Wasser vorgenommen. Kurzerhand entscheide ich mich. Meinen pinken Bikini habe ich vorsorglich eingepackt. Die Stimmung ist gut. Alle Mutigen reihen sich auf Deck 2, wo die Absprungplattform bereit steht. Wir heizen uns mit fetziger Musik auf. Sergej und Germán vom Expeditionsteam stehen bereit, um uns nach dem Sprung aus dem Wasser zu helfen. Yuki, die Photographin, hat sich im Zodiac positioniert, um alles zu dokumentieren. Natürlich fotografiert auch Micha – seine Entschuldigung nicht zu springen (nicht wirklich). Einmal in der Schlange gibt es kein Zurück. Zu groß ist der Massenzwang. Auf der Plattform bekomme ich einen Bauchgurt um und einen Hinweis, wo die Kamera ist. Nur ein Schritt nach vorne… das Wasser ist so eiskalt, dass ich glatt vergesse, wie schwimmen geht. Ein Schock! Kaum aus dem Wasser draußen, erwarten mich ein Shot Wodka und ein Handtuch. Und schon geht’s besser! Ein echter Neustart für Körper und Seele! Ich kann es nur empfehlen.
Nachmittags steuern wir Cuverville Island im Errara Kanal an. Auch hier gibt es eine Eselspinguin Kolonie, wohl mit rund 4.800 Paaren die größte in der Gegend. Neben Pinguinen nisten hier auch der Riesensturmvogel, der antarktische Seidenschnabel, die südpolare Raubmöve, die Küstenseeschwalbe und weitere Seevögel. Ein Landgang ist geplant. Da sich auf der einen Seite der steinigen Insel steile Kliffs von ca. 200m befinden, ist nur die gegenüberliegende Seite über einen Strand zugänglich. Leider ist der Zugang durch große Eisberge blockiert. Zu groß ist die Gefahr, dass wir bei Ebbe und ungünstigem Wind unsere Zodiacs nicht mehr ins Wasser lassen können. So wird erneut eine Zodiac Fahrt angeboten. Diesmal sind wir mit Sergej im Boot. Der Russe ist seit Jahren als Guide in der Antarktis unterwegs und liebt die Kälte! Wir fahren durch ein Meer aus Eisbergen. Die unterschiedlichen Formen der Eisberge sind absolut faszinierend. Immer wieder sehen wir Pinguine, Robben, Seevögel. Absolut erstaunlich, wie abwechslungsreich und lebendig die Fauna an diesem lebensfeindlichen Ort ist.
Schon jetzt hat sich die Reise gelohnt. Die Antarktis ist Liebe auf den ersten Blick! Wie es im 2. Teil unserer Reise weitergeht erfahrt ihr bald…
Und hier noch ein paar interessante Fakten über die Antarktis:
Die Antarktis ist in etwa 1,5-mal so groß wie Europa. Die benachbarten Erdteile befinden sich in großem Abstand zu ihr. Nach Südamerika sind es mehr als 1.000 km, bis Neuseeland und Australien 2.500 bis 3.000 km und nach Afrika fast 4.000 km. Im Winter legt sich ein bis zu 1.000 km breiter Packeisgürtel um den Kontinent.
Im Gegensatz zur Arktis im Norden, die nur eine auf dem Wasser schwimmende, dünne Eisscheibe ist, verbirgt sich unter dem mächtigen Südpolareis ein richtiger Kontinent.
Nirgends ist es so kalt wie in der Antarktis. Im Juli 1983 wurden an der russischen Forschungsstation Vostok, am Kältepol unserer Erde, -89,2°C gemessen. Die Durchschnittstemperaturen liegen im Landesinneren bei -50 bis -60 C°, und an den Küsten immer noch bei -10 bis -30°C. Im Frühjahr und Sommer, zur besten Reisezeit in der Antarktis, herrschen Temperaturen von 0 bis 5°C an der Küstenlinie vor.
Mehr als 99% der Oberfläche sind eisbedeckt. Im Durchschnitt ist das Eis 2.000 m mächtig, an der dicksten Stelle erreicht es sogar fast 5.000 m. In diesem Eispaket sind drei Viertel aller Süßwasservorräte der Erde gebunden, etwa viermal mehr als in allen Flüssen und Seen zusammen. Paradoxerweise gehört die Antarktis jedoch zu den trockensten Gebieten der Erde, denn im Landesinneren fällt weniger Niederschlag als in der Sahara Wüste.
Die Stürme in der Antarktis sind die heftigsten der Welt. Um den Küstensaum des Kontinents kreist eine nie endende Kette aus Tiefdruckwirbeln, die im Schnitt jeden dritten Tag zu einem Sturmtag macht, und aus dem Landesinneren können Fallwinde mit Spitzengeschwindigkeiten von über 300 km/h heranjagen. Wir hatten meist nur eine verhältnismäßig leichte Brise mit knapp 20 km/h.
Comments